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Eine kurze Weltgeschichte - wie sie die Ökonomen nicht hören wollen

Hier eine Reihe von historischen Fakten, die meiner Ansicht nach sowohl wahr als auch konträr zum Denken der meisten Wirtschaftswissenschaftler (und Libertarians1) sind. Sie alle haben erhebliche historische Belege im Rücken, während sich die Gegenseite meiner Erfahrung nach hauptsächlich auf vage Geschichten stützt. Alle drei lassen erhebliche Zweifel an den prokapitalistischen Erzählungen über Handel und wirtschaftliche Entwicklung aufkommen.

1

Reiche Ländern sind nicht durch Freihandel reich geworden, sondern mittels Protektionismus und anderen staatlichen Interventionen, darunter Kapitalkontrolle und Subventionen. Dazu zählen unter anderem: Großbritannien, die USA, Deutschland, Japan und die skandinavischen Länder. Außerdem sind die erst seit kurzem entwickelten Länder durch eine ähnliche Strategie reich geworden: Im Falle der südostasiatischen "Tigerstaaten" [Südkorea, Taiwan, Singapur] war die staatliche Intervention sogar noch expliziter, mit Staatsbediensteten, die innerhalb der sich entwickelnden Industrien arbeiteten. Es gibt ein paar Ausnahmen, wie die Niederlande, aber selbst in diesem Fall war der anfängliche Aufstieg geprägt von großen staatlich gestützten Monopolen [wie die Niederländische Ostindien-Kompanie], die dazu dienten Transaktionskosten zu überwinden. Und schließlich sind auch angebliche Bastionen des Freihandels, wie Singapur und Hong Kong, geprägt durch verschiedene öffentliche Infrastrukturen, und Singapur hat einen großen Sektor an Government Sponsored Enterprises. Die beste gut zugängliche Quelle zu diesem Thema ist [Ökonom] Ha-Joon Chang, aber es gibt auch andere.

2.

Geld kam nicht auf, um das Problem zu lösen, dass Menschen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Güter benötigen, was den Tauschhandel mit Gütern erschwert.2 Ein höchst unwahrscheinliches Konzept, das einige Fragen aufwirft. Geld entstand in erster Linie als eine Form von Kredit. Kreditbeziehungen waren eng verwoben mit sozialen Beziehungen und hielten Gemeinschaften zusammen. Solche Kreditverhältnisse wurden erst exakt quantifizierbar, sobald sie durch Gewalt statt durch sozialen Druck durchgesetzt wurden, und die Beweislage weist darauf hin, dass die Verwendung von Münzen und Geldscheinen meist nach der Einführung von Besteuerung folgte. Davor war Tauschhandel ausgesprochen selten und fand zwischen verschiedenen Stämmen/Nationen statt. Tauschhandel wurde oft begleitet von Gelagen, Sex und Gewalt (manchmal all das zur gleichen Zeit). Die Primärquelle zu diesen Thema ist natürlich David Graeber. Ich habe noch keine überzeugende Kritik an Graebers Thesen gesehen. Nicht, dass es keiner versucht hätte. ("Es könnte passiert sein, selbst wenn es keine Belege gibt." und "Schulden sind ja bloß Tauschhandel mit Verzögerung", um die Kritiken kurz zusammenzufassen.)

3.

Kleinbauern haben damals nicht freiwillig ihr Land für einen 12-oder-mehr-Stunden-Tag in den Fabriken verlassen, weil das "besser als die Alternative war". In vielen Fällen wurde ihnen ihr Land per Gesetz durch Zwangsvollstreckung genommen, und ihre Jagdmöglichkeiten wurden durch neue Gesetze ernsthaft eingeschränkt. Vor der industriellen Revolution hatten Bauern genügend Probleme - sie waren besonders anfällig für Krankheit und Hunger - aber es gibt Belege3 dafür, dass sie ein weit größeres Maß an Freizeit und Selbstbestimmung über ihre Arbeitsbedingungen besaßen als die Lohnarbeiter. Michael Perelman behandelt dies detailliert in seinem Buch, und ähnliche Argumente finden sich in der marxistischen Literatur.

 

 

Fazit

Die Schlussfolgerung ist klar, und ich wiederhole mich hier: Der Kapitalismus westlicher Prägung ist weder harmonisch noch natürlich. Er ist ein Produkt besonderer historischer Umstände, von denen einige unglaublich brutal waren. Alle Libertarians, die diese Erkenntnis akzeptieren (und manche tun dies), sollte höchst skeptisch allem gegenüberstehen, was danach folgte (z.B. die moderne Welt) - vorausgesetzt, dass sie sich in ihrem Verständnis von Gerechtigkeit in etwa nach Robert Nozick richten4. In der Tat sollten die meisten Libertarians wohl Revolutionäre sein

Der Originaltext erschien im Blog Unlearning Economics. Übersetzung von systempunkte.org. Fußnoten von systempunkte.org - zur Erläuterung.

  • 1. Wir verwenden den englischen Begriff, um zu zeigen, dass hier Anhänger der amerikanischen Tradition des Libertarismus angesprochen sind. In Europa erhielt sich "libertär" noch eher in der ursprünglichen Bedeutung, nämlich um den antiautoritären Flügel der sozialistischen Bewegung zu bezeichnen. Eine Definition, die wir auch auf dieser Seite so verwenden. Natürlich gibt es aber Überschneidungen und Diskussionsbedarf zwischen diesen politischen Strömungen.
  • 2. Das Problem ist bekannt unter dem Begriff "coincidence of wants". Beispiel: Ein professioneller Musiker spielt allabendlich in einer Bar, denn er will sich diesen Monat eine Wohnung leisten. Die Bar kann ihm als Gegenleistung Essen und Schnaps bieten, was der Vermieter allerdings nicht als Bezahlung akzeptieren wird. Lösen können die Beteiligten dieses Problem nur, wenn sie ein Gut haben, was alle jederzeit haben wollen. Und so wurde das Geld erfunden - jedenfalls nach gängigen liberalen Wirtschaftstheorien. Es war einmal...
  • 3. Diese Belege möchtest du dir wirklich genauer ansehen, denn sie werden präsentiert von Monty Python's Terry Jones.
  • 4. Der Philosoph Robert Nozick etablierte mit seinem Buch Anarchy, State and Utopia (1974) (rechts-)libertäre Positionen im Mainstream der politischen Philosophie. Der Text bezieht sich hier auf Nozicks Ideen zur Verteilungsgerechtigkeit: Die Verteilung von Gütern sei gerecht, wenn sie mittels freiem und einvernehmlichem Austausch zwischen erwachsenen Personen erfolge, selbst wenn durch diesen Prozess große Ungleichheiten entstehen (und somit auch Machtungleichgewichte). Es sollte klar werden, dass die historischen Wurzeln des Kapitalismus weit weniger mit einvernehmlichem, freiem Austausch zwischen Gleichen zu tun hatten, als allgemein behauptet wird.

Kommentare

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Zu 1. Es ist auch eine Folge der Ausbeutung der sogenannten Kolonialstaaten. Zu Beginn der Industrialisierung war es diese Philosophie, die dazu führte, dass man große Reichtümer anhäufte. Wer Geld hat, macht Geld und so sind diese Staaten bis heute reich! Dies betrifft nicht nur Europa, siehe auch Japan

Zu 2. Allgemein bekannt ist die These, dass es Geld nur gibt, weil es Schulden gibt. Ein interessantes Interview ist hier http://www.youtube.com/watch?v=-7lUuAUOtrw

Zu 3. Daraus resultiert, dass Arme arm bleiben (sollen?) - Die eigentlich Macht ist mE jedoch nciht der äußere Zwang, sondern der Druck der gesellschaft, der dazu führt, dass Du es selbst willst (Biomacht / Foucualt)