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Die Rechte gegen die Stadt

Eine Intervention

A. d. Ü.: Der Text steht im Kontext krtischen Geographie und ist als Intervention in den akademisch geprägten und emanzipatorisch orientierten Diskurs eines Rechtes auf die Stadt gedacht.

“Reclaim our cities” – “Selbstorganisaton” – “Werdet in der Nachbarschaft aktiv” –  Betrachtet diese Slogans einen Moment. Kommen sie euch bekannt vor? Das sollten sie tatsächlich, denn sie spielgeln einen Theoriezweig (e.g. Amin and Thrift 2005;  Butler 2012; Chatterton 2010; Dikeç 2001; Harvey 2003; Leontidou 2006;  2010; Marcuse 2009; Mayer 2009; Simone 2005) wieder, der zurückgeht auf Henri Lefebvres (1996) Idee des "Rechts auf Stadt" (im folgenden als ‘RaS’ abgekürzt). Trotz dieser gemeinsamen Wurzel sind die Interpretationen des Lefebvreschen Rechts äußerst vielfältig gewesen; vielleicht hat sein oftmals abstrakter Schreibstil unbeabsichtigt dazu beigetragen, dass sich die Theorie auch außerhalb seiner eigenen politischen Zugehörigkeit und Gedankenwelt verbreitet hat: Vor zehn Jahren protestierte Mark Purcell (2002), dass die ursprüngliche Vorstellung des 'RaS' radikaler war, als die damalige Literatur scheinen ließ. Aber heute könnte eine reformistische Interpretation Lefebvres die geringste Sorge sein, mit der wir an der süd-östlichen Küste des Mittelmeers, das heißt im griechischen Territorium konfrontiert sind.

Die einleitenden Worte dieser Intervention waren Wahlversprechen von Antonis Samaras, des derzeitigen Ministerpräsidenten Griechenlands. Kurz nach seinem Aufstieg an die Macht im Juni 2012 machte Samaras seine Worte wahr. Im frühen Augst startete die Polizei eine Operation,1 angeblich um gegen die illegale Immigration durchzugreifen. Alleine in den ersten Tagen wurden ungefähr 6700 Personen festgesetzt2. Ein Rekord für die Anzahl an Verhaftungen an einem Tag, zumindest seit dem Ende der Diktatur (1974). Grotesker- und ironischerweise wurde die Operation "Xenios Zeus" genannt, nach dem antiken griechischen Gott der Gastlichkeit. Gleichzeitig und angefeuert von ihrem beispielslosen Wahlerfolg3 führte die offen nationalsozialistisch orientierte Partei "Goldene Morgendämmerung" (GM) eine militante Straßenoperation durch, und rief dabei die Menschen auf, das Gesetz im Stil einer Bürgerwehr in die eigenen Hände zu nehmen. Als Effekt wurden nach Angaben der "Migrantischen Arbeiter Assoziation"4 annährend 500 rassistische Attacken gegen Migrant_innen alleine zwischen Februar und August 2012 registriert.

Der Wahlslogan der GM war ebenfalls untrennbar räumlich: “gia na xebrwmίsei o tόpos”, "damit wir den Platz von Dreck befreien können". Und, nicht zu vergessen, den Bewegung zum beispiellosen Wahlerfolg der GM begann mit mit dem sehr bescheidenen Versprechen "in der Nachbarschaft aktiv zu werden", als sie begann den Fokus auf lokale, graswurzelartige Organisation in der Nachbarschaft Agios Panteleimonas im Zentrums Athen zu verschieben. All dies während die linke, anarchistische und allgemein widerständige Bewegung mit den Nachwirkungen des Aufstandes von 2008 beschäftigt war (Vradis and  Dalakoglou, 2008).

Eine reflexhafte Antwort auf den donnerten Einbruch der Rechten in das Gebiet der alltäglichen Organisierung der Stadt wäre es, "Wiederaneignung" zu schreien. Sicherlich könnte doch gesagt werden, dass auf dieselbe Art und Weise wie die griechische Polizei schamlos die Bedeutung von "Gast-Schutz" verkehrte, die reaktionäre Kraft, die die GM nun einmal ist, die Bedeutung von emanzipatorischen Theorien verdreht hat? Dies zu behaupten würde jedoch unsere Pflicht vergessen, derartige Theorien gegen ebenjene Kräfte zu verteidigen, gegen die sie stehen soll. Das Wiederfinden von Deleuze, Guattari and Debord5 als Referenzen in einem militärischen Trainingsbuch (Weizman, 2006) hätte doch ein deutliches Warnzeichen sein sollen?

Der Aufstieg der Goldenen Morgendämerung war unvorhergesehen und  – mit den intellektuellen Werkzeugen, die kritischen Akademiker_innen zur Verfügung stehen – auch weitgehend unerklärbar. Das ist eine harte Lektion: Wir haben es nicht geschafft vorherzusehen, was passieren würde und wir haben versagt die Gesellschaft gegen die kommende Katastrophe zu verteidigen. Aber für uns kritische Geograph_innen gibt es eine zusätzliche Last. Die Sprache, die GM verwendet, erteilt uns eine Lektion, die speziell für unsere Disziplin relevant ist – und für unseren Versuch, durch das RaS Theoriegebäude eine Kritik an der bestehenden urbanen Ordnung zu formulieren, eine Kritik die allzuoft verloren ging in einer ahistorischen, aber absichtlichen Abstraktion.
Werfen wir einen Blick auf das Missverhältnis welches Purcell sieht zwischen Lefebvres festliche Vorstellung des RaS und den neueren RaS Studien. Auf der einen Seite steht ein Recht auf die Stadt, welches den euphorischen post-1968er Glauben wiederspieglt, dass die Welt sich für immer verändern wird, dass eine emanzipatorische Transfomration ante portas steht – und dass diese Emanzipaton aus einer Veränderungen in der Art, wie urbaner Raum produziert und gelebt wird, stammen und begründen wird. Auf der anderen Seite befindet ein Zweig neuerer "Recht auf die Stadt"-Studien, die oft eine zentrale Tatsache verstecken, die Tatsache, dass sie im Großen und Ganzen als ein Exodus durch den Maßstab entstanden sind.
 
Die Berufung auf ein RaS war nicht nur "ein Weg um auf den neoliberalen Urbanismus zu reagieren" (Purcell 2002: 99), sondern ein Weg, um der offensichtlichen Unfähigkeit die Agenden im nationalen und internationalen Maßstab zu beeinflussen, zu entgehen. Denkt hier an das weitgehend reaktionäre Klima in den USA unter Reagen und im UK unter Thatcher in den 1980ern. Berufung auf das RaS bedeutete sich ein Asyl jenseits der neoliberalen nationalen Agenden der Zeit zu suchen; ein Exodus der aus einer Notwendigkeit entstand. Oder denkt an den späteren Vorwurf das RaS sei eine Pazifizierung: "eine 'neuer Urbanismus'-Bewegung, die den Verkauf von Gemeinschaft und Boutique Lifestyles, um urbane Träume zu erfüllen, bewirbt" (Harvey 2009: 323). Selbst in diesen Fällen bot das RaS ein Versprechen einer Politik, die näher ist am Maßstab des Menschen, und des Potentials unserer unmittelbare Umgebung in der wir agieren und leben zu beeinflussen. Im Rückblick scheint es nun vielleicht ein großer Fehlschluss gewesen zu sein, dass wir uns womöglich erlaubt haben zu glauben, dass die urbane Politik unabhängig, im Äther der Stadt selbst existieren könnte. Der scheinbar abrupte, gewalttätige Einbruch der weit aussenstehenden Rechten in die urbane Arena und ihre eigene Berufung auf das RaS kommt für viele von uns als Überraschung, aber es hätte keine sein sollen. Weder als kritische Geograph_innen, noch als weitere oppositionelle soziale Bewegung (welches Label wir uns auch geben) haben wir ein Monopol auf das Verständnis, dass der Aufbau einer Graswurzelpräsenz durch die Maßstäbe sickern kann, oftmals bis zum Herzen der Macht. Was dort getan wird – es abschaffen (im Fall von Anitautoritären) oder es an sich reißen (im Fall von Autoritären) – ist eine andere Angelegenheit; aber der Weg um diesen exakten Punkt zu erreichen, erscheint dennoch identisch.

Mittlerweile ist es ein Faktum: (Neo-)Nazis und die Ultrakonservativen, autoritäre und neoliberale Regierungen, die dem Diktat von EU, IMF und EZB in Griechenland folgen, haben sich beide einen Maßstab für Interventionen gewählt, der bis vor kurzem den oppositionellen sozialen Bewegungen und der kritischen Linken vorbehalten war: der urbane Maßstab. Vor uns liegt die kritische Frage: Wie gehen wir von hier an voran? Wie auch Michael Watts (2010) fragt, "was könnte [der unaufhaltsame Aufstieg der radikalen Rechten] bedeuten für die eigene Radikalität (einer ganz anderen Schattierung) heute?" Eine - nicht empfehlenswerte - Option wäre, unsere kollektive Kraft aus dem urbanen Raum abzuziehen und im Rückzug einen weiteren Exodus durch den Maßstab zu versuchen, genau wie jenen, der den RaS Theoriezweig angesichts des Neoliberalismus verjüngte. Es ist schwer vorstellbar, welche katastrophalen Konsequenzen ein weiterer Rückzug dieser Art haben könnte. Eine zweite Option - im Grunde die einzig praktikable - wäre diesen nie dagewesenen Angriff als Chance zu begreifen, eine Chance, um stabil zu definieren, was an diesem besonderen Maßstab der Intervention (des Urbanen) so politisch anziehend und fruchtbar ist für die breitere Bewegung für soziale und menschliche Emanzipation. Aber nun spüren wir selbstverständlich die zusätzliche Dringlichkeit, durch eine ausreichend schnelle und sorgfältige Intervention im urbanen Maßstab sicherzustellen, dass der Ansturm der Rechten gegen die Stadt nicht unaufhaltbar ist.

Die Aufgabe ist dringlich, aber keineswegs unmöglich. Selbst jetzt sollten wir nicht vergessen, dass wir immernoch auf unserem eigenen Terrain agieren, mit unseren eigenen Begriffen: Die Verwendung der "Recht auf Stadt"-Rethorik durch Rechte und Rechtsradikale ist nichts als Blendwerk. Totalitäre, faschistische und neonazistische Aktivitäten sind essentiell anti-urban. Anti-urban, wenn man unter Urbanität eine Vermischung verschiedenster Kulturen, Weltbilder und Ethnien verstehet, die eine Stadt florieren lässt. Die Stadt als ein Ort der Begegnung (Lefebvre 1996: 158); und die Begegnung wiederum als Mittel zu einem sozial und politisch bereicherten Leben. Auf diese Weise - und nur auf diese Weise - macht uns Stadtluft frei. Ansonsten bietet das Leben in einem sterilen, streng aufgeteilten Ballungsraum nur eine Halluzination von Freiheit. Und aus diesem Grund ist der archetypische Schritt hin zum Urbizid (dem Mord an Städten) immer die abrupte, gewaltsame Vertreibung von allem Fremden gewesen. Allem weiteren - der physische Zerstörung der urbanen Infrastruktur und der Vertreibung der Bevölkerung - ging voran, dass eine entscheidende Distanz zwischen den Tätern und ihren Opfern geschaffen wurde.

Eine falsche Distanz zwischen "Eingesessenen" und "Fremden" zu schaffen und dann zu versuchen eine rassisch-definierte "Ordnung" zwischen diesen beiden durchzusetzen ist essentiell anti-urban, wendet sich gegen die Unordnung, die Sennett (1970) als grundlegendste Zutat für das urbane Leben gelesen hat. Und es ist auch in diesem Sinne, dass Forscher_innen der kritischen Geographie nun eine unschätzbare Möglichkeit haben, die Bedeutung eines RaS radikal neu zu denken und zu formen, auch wenn durch einen initialen Prozess der Negation. Unser Recht auf die Stadt ist nicht die Attacke gegen jenes, was anders, schwach oder unterdrückt ist. Noch ist es (oder sollte es zumindest nicht sein) eine holistische Akzeptanz gegenüber jeder_m Akteur_in im urbanen Terrain. Ein wirklich emanzipatorisches RaS sollte per Definition jene ausschließen, die in diesem Moment die urbane Psyche angreifen. Dieses RaS sollte weder eine leerer Slogan an Stelle von politischer Substanz sein, noch eine fragmentierte Anrufung der existierenden Mächte. Wo es aufhören würde ist unbekannt. Aber es würde mit größter Sicherheit von einem Verständnis aus beginnen, das einen jeden Kampf im urbanen Terrein als eine Fortsetzung von Kämpfen um Emanzipation in allen anderen sozialen und politischen Maßstab begreift. Von der ursprünglichen Vorstellung eines RaS sprechend warnte Lefebvre (1996: 195): "es schafft Konfrontationen und Kämpfe nicht ab. Ganz im Gegenteil!"

Es gibt wenig Zeit zum Grübeln und keinen Platz, um zurückzuweichen: Wir müssen unsere eigenen Bindungen und Allianzen aufbauen, herausfinden, was das Urbane zu einem fruchtbaren Boden für emanzipatorische Gedanken gemacht hat, und es hochhalten, für es kämpfen. Dies ist nicht länger eine rhetorische Frage, oder ein Rückzug durch den Maßstab; für ein Recht auf Stadt zu kämpfen, und nicht nur zu fordern, wird nun mehr als je zuvor die Zukunft der sozialen und politischen Kämpfe, die vor uns liegen, beschreiben und gleichzeitig bestimmen.


Literaturverzeichnis

Amin A and Thrift N (2005) What’s left? Just the future. Antipode 37(2):220–238

Butler C (2012) Henri Lefebvre: Spatial Politics, Everyday Life, and the Right to the City. London: Routledge

Chatterton P (2010) The urban impossible: A eulogy for the unfinished city. City 14(3):234–244

Dikeç M (2001) Justice and the spatial imagination. Environment and Planning A 33(10):1785–1805

Harvey D (2003) The right to the city. International Journal of Urban and Regional Research 27(4):939–941

Harvey D (2009 [1973]) Social Justice and the City. Athens, GA: University of Georgia Press

Lefebvre H (1996) The right to the city. In Kofman E and Lebas E (eds) Writings on Cities (pp147-159). Oxford: Blackwell

Leontidou L (2006) Urban social movements: From the ‘right to the city’ to transnational spatialities and flaneur activists. City 10(3):259–268

Leontidou L (2010) Urban social movements in ‘weak’ civil societies: The right to the city and cosmopolitan activism in southern Europe. Urban Studies 47(6):1179–1203

Marcuse P (2009) From critical urban theory to the right to the city. City 13(2/3):185–197

Mayer M (2009) The ‘right to the city’ in the context of shifting mottos of urban social movements. City 13(2/3):362–374

Purcell M (2002) Excavating Lefebvre: The right to the city and its urban politics of the inhabitant. GeoJournal 58:99–108

Sennett R (1970) The Uses of Disorder. New York: Knopf

Simone A (2005) The right to the city. Interventions: International Journal of Postcolonial Studies 7(3):321–325

Vradis A and Dalakoglou D (2008) After December: Spatial legacies of the 2008 Athens uprising. Upping the

Anti 10 http://uppingtheanti.org/journal/article/10-after-december-spatial-legacies-of-the-2008-athens-uprising/ (letzter Zugriff 27. 10. 2012)

Watts M J (2010) Now and then. Antipode 41(s1):10-26

Weizman E (2006) The art of war. frieze http://www.frieze.com/issue/article/the_art_of_war/ (letzter Zugriff 27. 10. 2012)

  • 1. Die Operation läuft noch zur Zeit der Verfassung (Mitte September).
  • 2. “Police claim Xenios Zeus operation a success.” ekathimerini.com 10 August 2012 http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite1_1_10/08/2012_456497
  • 3. In den Nationalwahlen im Mai 2012 erreichte "Goldene Morgendämmerung" knapp unter 7% (6,97%), gefolgt von einem annähernd gleichem Prozentsatz im Juni (6,92%). Dies bedeutet ein Wachstum um 2303% verglichen mit den 0,29%, die die "Goldene Morgendämmerung" noch in der Wahl von 2009 erhalten hatte.
  • 4. “Nearly 500 hate attacks carried out in the last six months.” ekathimerini.com 14 August 2012 http://www.ekathimerini.com/4dcgi/_w_articles_wsite1_1_14/08/2012_456870
  • 5. Gilles Deleuze und Félix Guattari können als bedeutende Vertreter der postmoderne gelten. Guy Debord war ein maßgebliches Mitglied der Situationistischen Internationalen. A. d. Ü.

Kommentare

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Danke für den Post, habe ihn zitiert: http://yoonar.wordpress.com/2012/11/16/zukunftsgedanken/

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Schwieriger Artikel, der sich wohl an ein Fachpublikum richtet. Aber der Punkt, dass rechte Ideologien essentiell anti-urban sind, der ist gut und einleuchtend. Vielleicht auch deshalb das größere Naziproblem im Hinterland?

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Ich stimme dir zu, dass es ein komplexer Text ist. Habe mich ja schlussendlich selbst dazu genötigt gesehen, ihn mit einem Einleitungssatz zu kontextualisieren.

"Aber der Punkt, dass rechte Ideologien essentiell anti-urban sind, der ist gut und einleuchtend. Vielleicht auch deshalb das größere Naziproblem im Hinterland?"
Ich denke, dass dies in der Tat damit zusammenhängt. Der Zusammenhang von Antiurbanismus und reaktionärem Gedankengut wurde schon relativ gut herausgearbeitet. Auch wenn ich jetzt auf keinen konkreten Buchtitel oder Text verweisen kann, bin ich mir sicher, dass es einige gibt.