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Systempunkte - ein Weblog für herrschaftslose Gesellschaften

Seit April ist die Blogosphäre um einen libertären Knoten reicher: Unter http://systempunkte.org betreibt ein kleines Redaktionskollektiv eine Internetseite, deren Ziel es ist, anarchistische Ideen und Vorstellungen der Netzöffentlichkeit darzulegen. Es geht uns dabei nicht darum "letztgültige Wahrheiten" zu verkünden, sondern Ansätze, die wir für diskussionswürdig halten, tatsächlich in eine Öffentlichkeit zu tragen, die über linke und anarchistische Subkulturen hinaus geht. "Dort draußen" - in der Mehrheitsgesellschaft - finden Veränderungen und Denkprozesse statt, die häufig Anlass zur Sorge bereiten; gelegentlich halten sie aber auch positive Überraschungen bereit, wenn sie nur unvoreingenommen betrachtet werden. In beiden Fällen aber ist ein anarchistisch geprägter Diskussionsbeitrag sinnvoll.

Ein Weblog erscheint uns als besonders geeignet, am Diskurs teilzunehmen, weil das Universum der Blogs eine Aktualität und Reichweite ermöglicht, die kein anderes Medium zu bieten hat. Durch die besondere Kommunikationsstruktur können Diskussion und Rezeption in einer Intensität und Geschwindigkeit stattfinden, die durch klassische Medien nicht erreichbar ist. Insbesondere wird die strenge Trennung zwischen Produzierenden und Konsumierenden teilweise aufgehoben durch die Möglichkeit des direkten Kommentars, aber auch durch die geringe (finanzielle wie organisatorische) Schwierigkeit, ein eigenes Weblog zu führen und zur Rezeption und Beteiligung zu nutzen - kein Vergleich zu dem Aufwand, ein eigenes Printmedium zu gründen und zu publizieren, um aktiv an gesellschaftlichen Diskussionen teilhaben zu können!

In unserer Gesellschaft scheinen viele Menschen die herrschenden Verhältnisse zu akzeptieren - nicht, weil sie sie befürworteten, sondern weil sie ihnen alternativlos erscheinen, der Spielraum für eigenes Handeln scheint minimal zu sein. Nicht nur diesen Spielraum zu vergrößern sollte unser Anliegen sein, sondern auch den vorhandenen besser zu erkennen und zu nutzen. Zeigen wir darum in jedem Lebensbereich Alternativen auf! Es gibt erstaunlich viele Projekte, die ganz neuartige, weitgehend herrschaftsfreie Wege gehen, auch ohne dass sie sich explizit als anarchistisch verstehen. Die Besprechung solcher Projekte kann sowohl für uns fruchtbar sein, bieten sie doch unideologische Herangehensweisen, deren zugrundeliegende Mechanismen möglicherweise auf andere Bereiche übertragbar sind, als auch für die Projekte selbst, die vielleicht aus dem reichhaltigen Erfahrungs- und Theorienschatz klassischer Anarchismen Anregungen zur Lösung ihrer entstehenden Probleme erhalten. Beispielhaft zu nennen sind hier die vielen freien Projekte, die sich im Rahmen der Digitalisierung der Gesellschaft und der damit einhergehenden massiven Umwälzungen sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen entwickeln (z.B. OpenSource, FLOSS, Wikis, 3D-Drucker, P2P, Filesharing, ...).

Zurzeit sind nur wenige Inhalte online. Damit Systempunkte blüht und gedeiht, braucht das Projekt vor allem weitere gute Autorinnen und Autoren, die Beiträge verschiedenster Art (Essays, Übersetzungen, Interviews, Medienrezensionen, usw.) erarbeiten. Der Themenbereich ist quasi unbeschränkt. Angedacht sind bereits zusammenhängende Reihen, z.B. zur Frage der Energieversorgung und insbesondere zu ihrer Dezentralisierung und Ökologisierung. Auch für kontroverse Diskussionen soll Systempunkte eine Plattform bieten. So gibt es sicher zur Frage eines bedingungslosen Grundeinkommens ganz unterschiedliche Positionen zu den verschiedenen Modellen. Ebenso bleibt die Diskussion um Wirtschaftsmodelle offen: Von Marktradikalismus über Mutualismus hin zu Kommunismus werden sich Befürworter und Gegner zu Wort melden. Systempunkte vertritt nicht eine spezifische Richtung des Anarchismus, sondern versucht, für jegliche interessante Inhalte Plattform zu sein, die mit grundlegenden anarchistischen Prinzipien vereinbar sind.

Wer sich also berufen fühlt, in diesem Sinne als Autorin/Autor für Systempunkte in Erscheinung zu treten, ist herzlich eingeladen sich an uns zu wenden. Allen dürfen wir aber wärmstens den regelmäßigen Besuch unserer Seite empfehlen; über Weiterverbreitung und Kommentierung würden wir uns freuen.

Dieser Artikel ist erstmals in der 改道 Gǎi Dào Nr. 5 /05.2011, der Zeitung des Forums deutschsprachiger AnarchistInnen, veröffentlicht worden.