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Rote Tinte

Man betrachte nur die Filme, die wir uns ständig anschauen: Es ist leicht, sich das Ende der Welt vorzustellen - ein Asteroid, der alles Leben auslöscht und so weiter. Aber das Ende des Kapitalismus können wir uns nicht vorstellen.

Was tun wir also hier? Lasst mich euch einen wunderbaren alten Witz aus kommunistischen Zeiten erzählen:

Ein Typ aus Ostdeutschland wurde nach Sibirien zum Arbeiten geschickt. Er wusste, dass seine Post von den Zensoren gelesen werden würde. Also sagte er seinen Freunden: "Lasst uns einen Code verabreden. Wenn ein Brief, den ihr von mir bekommt, in blauer Tinte geschrieben ist, dann ist es wahr was ich schreibe. Wenn er in roter Tinte geschrieben ist, dann ist es falsch."

Nach einem Monat bekommen seine Freunde einen ersten Brief - ganz in blauer Tinte geschrieben. Er lautet: "Alles ist wunderbar hier. Die Geschäfte sind voll mit guten Lebensmitteln. Die Kinos zeigen gute Filme aus dem Westen. Die Apartments sind groß und luxuriös. Das einzige, was man hier nicht kaufen kann, ist rote Tinte."
 

Das ist der Zustand, in dem wir leben. Wir haben all die Freiheiten, die wir wollen, aber uns fehlt die rote Tinte - die Sprache, um unserer Unfreiheit Ausdruck zu verleihen. Die Art, wie uns beigebracht wurde über Freiheit zu sprechen, verfälscht die Freiheit. Und das ist es, was ihr hier tut: Ihr gebt uns allen rote Tinte.

- Slavoj Zizek zu Protenstierenden bei #OccupyWallStreet


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Die Taz hat dazu einige Gedanken aufgeschrieben:

https://www.taz.de/Zizek-bei-Occupy-Wall-Street-Bewegung/!79856/